Freitag, 7. Oktober 2011

Der Konvertit

Noch heute bin ich dem Pfarrer der Christengemeinschaft in meiner Stadt dankbar dafür, dass er es vermochte, mir den gekreuzigten Christus - und damit den christlichen Glauben - näherzubringen. Er schaffte es, meine Skepsis und meinen Argwohn gegen alles Christliche zu mildern und so den Weg zu weisen, der mich langsam in den Glauben hineinführen würde. Keine geringe Leistung! Für mich als spirituellen Sinnsucher war die Christengemeinschaft das wohl denkbar "niedrigschwelligste Angebot" das ich mir vorstellen konnte. Sie verband herkömmliches Christentum mit esoterischen Elementen aus der Anthroposophie. Eine offizielle Lehre, oder gar Dogmen wie bei den Katholiken gab es hier nicht. Die Christengemeinschaft wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Hilfe von Rudolf Steiner aus der Taufe gehoben. Es ist nicht übertrieben wenn man sagt, dass der christliche Glaube hier im Lichte der Anthroposphie gedeutet wird. Daher stehen Vorstellungen wie von der Präexistenz der Seele, und der Reinkarnation für die Christengemeinschaft in keinem Gegensatz zum christlichen Glauben, nur das die Großkirchen das in ihrer Sicht aus Bewusstseinsgründen (noch) nicht erkannt haben. Mir gefiel das außerordentlich gut, hinzu kam der ausgeprägte Sinn für die Liturgie und die spirituelle Nestwärme, die gerade die kleineren Gemeinden noch haben. Ich begann mich mit der Esoterik Rudolf Steiners zu beschäftigen, und empfand sie schon bald als Zumutung für den Verstand. Zum Beispiel die bizarre Lehre von den zwei Jesusknaben, mit der Rudolf Steiner die unterschiedlichen Stammbäume im Matthäus und Lukasevangelium erklärt. Auch die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Anthroposophie waren mir nicht geheuer, zumal man Herrn Steiners Ideen für mein Empfinden ausgesprochen kritiklos gegenüberstand. Meine anfängliche Begeisterung begann sich allmählich abzukühlen.
Ich begann mich mit "Aussteigerliteratur" zu beschäftigen, also Erfahrungsberichte von Menschen, die der anthroposophischen Gesellschaft und/oder der Christengemeinschaft den Rücken gekehrt haben und sich der katholischen Kirche zuwandten. Besonders ein Buch war für mich wegweisend: "Anthroposophie und Kirche - Erfahrungen eines Grenzgängers" von Professor Martin Kriele. Ebenfalls hilfreich war ein anderer Autor, der der katholischen Kirche sehr nahestand, und deshalb von manchen Anthroposophen angefeindet wurde -  Valentin Tomberg.
Beide fanden in der katholischen Kirche eine spirituelle Heimat, was mich sehr beeindruckt hat, denn Valentin Tomberg blieb Zeit seines Lebens der Anthroposophie verbunden. Wie, so fragte ich mich, ist es möglich, dass ein Anthroposoph in der Kirche heimisch wird ohne sich eingeengt zu fühlen? Das Gegenteil war ja der Fall, Tomberg hat sämtliche Dogmen der Universalkirche anerkannt. Das passte nicht zu meiner Vorstellung von einer hartherzigen Kirche die ihre Mitglieder bevormundet und nichts neben sich gelten lässt.
Ich fing an mich mit katholischer Literatur zu befassen, tauchte ein in die tiefgründige katholische Geisteswelt und allmählich begann sich mein Herz aufzuschließen und immer empfänglicher zu werden.
So kam es dann, dass ich zwei Jahre nach meiner Begegnung mit der Christengemeinschaft den endgültigen Wechsel vollzog und zur katholischen Kirche konvertierte, denn vorher war ich evangelisch-lutherisch ohne mich dort jemals heimisch gefühlt zu haben.

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