Donnerstag, 19. Juli 2012

Das Kreuz

Gott Jesus bat nicht darum eines grausamen Todes sterben zu dürfen. Im Gegenteil, er bat den Vater darum, der Kelch möge an ihm vorübergehen. Es spricht für sein Menschsein, dass er darum bat, und es spricht für sein Gottsein, dass er sich gefügt hat. Christus hat sich nicht gegen den Willen seines Vaters aufgelehnt, sondern sich ganz in die Hände der Menschen ausgeliefert. Man bedenke: Der Gottmensch Jesus ist ja immer auch der in Ewigkeit geborene Sohn. Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott. Konnte Christus somit überhaupt anderer Meinung sein als der Vater, mit dem er eines Wesens ist?  Aus freien Stücken - und das ist wichtig zum Verständnis, warum ein angeblich grausamer Gott seinen Sohn eben nicht voller Heimtücke hat abschlachten lassen - hat er sich gefügt. Ich bin sicher, dass Gott sein Heilswerk auf vielerlei Weise hätte realisieren können, aber Gott ließ den Menschen ihre Freiheit und ließ den Dingen ihren Lauf, um im Zuge der Ereignisse sein Heilswirken zu realisieren. Wusste Jesus im Garten Gethsemane davon was ihm blüht, ich meine, auf welche Weise er zu Tode kommen wird? Hatte er in seiner menschlichen Inkarnation gewissermaßen "Zugriff auf alle Infos"? War ihm wohl bewusst, dass er die schlimmste Todesart erleiden würde, die menschliche Grausamkeit in der Antike ersonnen hat? Oder war es die quälende Ungewissheit, die ihn Blut und Wasser schwitzen ließ? Ich weiß es nicht, aber ich bin überzeugt davon, dass Jesus sich aus Liebe - und das bedeutet immer aus freien Stücken - in die Hände der Menschen ausgeliefert hat.Für viele Menschen (auch Christen) ist das Kreuz - besonders mit Korpus - etwas abstoßendes. Ausdruck einer Sadomasochistischen Religion, die das Leiden verherrlicht und, um das zu verdeutlichen, konsequenterweise ein Folterinstrument zu ihrem Symbol gemacht hat. Aber das Kreuz ist ungleich mehr. Das Kreuz ist ein Hoffnungszeichen, das über sich selbst hinausweist. Es symbolisiert die Zerrissenheit unserer Welt, aber gleichzeitig auch ihre Heilung. Das Kreuz spricht von der Liebe Gottes zu uns, macht aber gleichzeitig Ernst mit dem Leid, der Bosheit und der Erlösungsbedürftigkeit der Menschheitsfamilie.
Ja es stimmt, die Leiden Christi werden verherrlicht, ihrer wird ständig gedacht, sei es in stiller Andacht, oder als große Prozession in Jerusalem oder anderswo. Der Kreuzweg ist wichtiger Bestandteil der katholischen Spiritualität und Frömmigkeit - wenn auch rückläufig.
Das bedeutet aber nicht, dass Christen aufgerufen sind, soviel wie möglich zu leiden, es ist eher so, dass das Christentum unter Fülle des Lebens ausdrücklich auch das Leiden mit einbezieht. Fülle des Lebens bedeutet gute wie schlechte Zeiten erlebt zu haben, und beides auch anzunehmen in Dankbarkeit. Wir sollen das Leid und den Schmerz nicht suchen, auch wenn es Christen gibt die genau das tun, ich denke da an einige abwegige Praktiken auf den Phillipinen, wo sich z. B. jedes Jahr einige Katholiken unter ärztlicher Aufsicht für einige Minuten an ein Kreuz nageln lassen. Wenn Jesus davon spricht, dass jeder sein Kreuz auf sich nehmen soll, meint er vielleicht, dass wir nicht der eigenen Trägheit verfallen sollen, sondern Gutes tun und nach Gottes Geboten leben sollen. Das dürfte schwierig genug sein für ein kurzes Menschenleben.
Ich verstehe gut, warum viele Christen lieber auf die Auferstehung blicken, aber die Glorie der Auferstehung, die sich still im geheimen vollzog, erlangt ihren tiefsten Sinn erst durch die öffentliche Erniedrigung Jesu und sein Sterben am Kreuz. Dieser Nullpunkt des irdischen Jammertales hat Christus durchlitten für uns, aber nicht nur um seine Solidarität mit dem Menschengeschlecht zu demonstrieren, sondern um die gefallene, irdische Wirklichkeit an ihrem tiefsten Punkt aufzunehmen und zu verwandeln. Es gibt für mich keine radikalere Art, durch die Gott seine Liebe zu uns hätte ausdrücken können.
Die durch menschliches Handeln vollzogene Erlösungstat Gottes am Kreuz – sowie die Auferstehung von den Toten sind zwei Seiten derselben Medaille, die einer konsekrierten Hostie gleicht.
Wir brauchen uns nicht mehr zu fürchten, als Christen sind wir durch die Taufe gestorben und in Christus wiedergeboren. Die furchtbare Angst die unser Erlöser im Garten Gethsemane hatte, braucht uns nicht mehr zu befallen. Sicher – es gibt keinen Heilsautomatismus, auch wenn viele das glauben wollen, das Leben bleibt ein Ernstfall, aber Christus hat uns – also seiner Kirche den Weg gewiesen, und wir sind aufgerufen in seine Nachfolge zu treten.
Der Rest ist Gnade.



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