Donnerstag, 6. September 2012

Gedanken zum Aufruf

Heute ist er also veröffentlicht worden, der Aufruf  "Ökumene jetzt - ein Gott, ein Glaube, eine Kirche". Was das assoziative Denken bei so einem Titel für uns parat hält, möchte ich hier nicht weiter ausführen, aber "Ökumene jetzt" hätte es sicher auch getan. Natürlich kann man darüber streiten, inwieweit ein solcher Aufruf von verdienten Bundesbürgern beider Konfessionen ein hilfreicher Beitrag zur Ökumene ist, aber immerhin, der Text war deutlich kürzer als das unselige Theologenmemorandum, durch das ich mich regelrecht durchquälen musste, im übrigen sind solche "Aufbruchstexte" vor größeren religiösen Ereignissen wie der Lutherdekade anlässlich des 500 jährigen Jahrestages der Reformation wohl zu erwarten gewesen. Zu viel Ungeduld. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich teile die gute Absicht dieser Leute und denke nicht, dass bei den Verfassern soetwas wie Berechnung im Spiel ist. Ihr Anliegen ist absolut legitim, schließlich ist die Einheit der Christenheit ein Herzensanliegen aller Christen - oder sollte es jedenfalls sein. Lediglich die Antwort auf die entscheidene Frage, ob das Gemeinsame nicht schwerer wiegt als das Trennende, kann ich nicht teilen.
Ich bin froh, dass es noch so viele Christen gibt, denen die Einheit ein echtes Anliegen ist, daher sehe ich solche Aufrufe weniger kritisch als viele andere in der Blogozese. Aber ich empfinde an dieser Stelle auch die tiefe Tragik des Christentums in Deutschland und anderswo, die darin besteht, dass der christliche Glaube immer weiter verdunstet, weil große Teile unserer Gesellschaft von einer tiefen Gotteskrise erfasst wurden. Wer weiß, vielleicht erledigen sich solche Probleme wie die Kirchenspaltung irgendwann von selbst, wenn die Zahl Derer, die sich zum christlichen Glauben bekennen so gering geworden ist, dass die Kirche keine relevante gesellschaftliche Größe mehr darstellt. Das Problem, dass die Tragik ausmacht liegt darin, dass die heutige Gotteskrise und die Reformation nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Es gibt einen inneren Zusammenhang.
Meiner Ansicht nach muss man vom Fach sein um die genauen Unterschiede zu kennen, die die katholische und evangelische Sicht auf Glaube und Kirche ausmachen. Ich besitze diese Kenntnisse (noch) nicht im vollen Umfang, und das Buch Symbolik von Johann Adam Möhler ist mir leider in Frakturschrift zugesandt worden...

Die hier in dem Aufruf unterstellte Einheit scheint mir eher auf Gefühlen, Wunschdenken und überkonfessionellen, zwischenmenschlichen Beziehungen zu basieren, und nicht auf Wahrhaftigkeit. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es vielen einfach egal ist, ob und wenn, welche theologischen Differenzen noch zu klären sind. Für Viele scheint das theoretisches Geschwafel weltfremder und blutleerer Theologen zu sein, die sich von alten Vorstellungen nicht lösen können, frei nach dem, was Goethe in seinem Faust I geschrieben hat: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und Grün des Lebens goldner Baum." Man macht die Einheit einfach und fertig. So wie heute in vielen Kirchen auch die Liturgie gemacht wird. Die Reformation war ein Unglück, und die Trennung hat Wunden verursacht, die bis heute noch schmerzen. Können solche Aufbruchstexte etwas zur Heilung dieser Wunden beitragen? Die mir bekannten Unterschiede in der Kirchen und Sakramentenlehre sind  meiner Meinung nach gravierend, jedenfalls so erheblich, dass ich nicht so recht verstehe, wie man hier eine Einheit unterstellen kann. Aus meiner Zeit in der Christengemeinschaft kenne ich noch die Rede von der unsichtbaren Kirche, die sich automatisch in allen christlichen Gemeinschaften finden lässt, so dass es auch egal ist, welche Auffassung vom Abendmahl vorherrschend ist, denn Christus sei ja immer realpräsent. Ich halte eine so behauptete innere Einheit der christlichen Bekenntnisse für konstruiert und spekulativ, jedenfalls fand ich sie schon früher nicht sehr überzeugend. Folgender Satz aus dem Aufruf geht im Prinzip in die gleiche Richtung: Wir wollen nicht Versöhnung bei Fortbestehen der Trennung, sondern gelebte Einheit im Bewusstsein historisch gewachsener Vielfalt. Dieser Satz klingt großartig nicht wahr? Er klingt so offen und weit, er spricht von gelebter Nächstenliebe, die mit offenen Armen den Nächsten empfängt, auch wenn er irgendwie anders ist. Wer wollte da widersprechen? Ich. Das Problem ist meiner Meinung nach, dass historisch gewachsene Vielfalt ein Euphemismus ist für die unterschiedlichen Auffassungen beider Bekenntnisse, und somit auch für das Trennende. Ich bin dankbar für das Gemeinsame, dass beide, Katholiken und Protestanten miteinander verbindet, aber ich weigere mich die Unterschiede zu ignorieren.
Wir brauchen keine "kalte Fusion" beider Kirchen. Wir brauchen auch keinen deutschen Sonderweg, der letztlich auf eine deutsche Nationalkirche hinausliefe. Wir brauchen einen echten, aufrichtigen und dünkelfreien Dialog nach dem Prinzip Wahrheit in Liebe. Das Christentum ist wie ein zerbrochener Spiegel, der sich bis zum heutigen Tag immer weiter aufsplittert. Wer kann diesen Spiegel wieder heil machen? Wer vergangene Irrtümer und Fehler ungeschehen machen, wer eine neue Einheit stiften? Im Grunde kennen wir doch alle die Antwort, und sie lautet nicht - wir.

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