Donnerstag, 13. September 2012

Eine kleine Geschichte

Eine Exfreundin von mir wurde Schwanger und ich habe mich sehr für sie gefreut, denn ich wußte, dass sie sich immer Kinder gewünscht hat. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie vor einigen Jahren, als wir noch zusammen waren, einmal plötzlich zu mir sagte: "Am liebsten wäre es mir, wenn ich Schwanger werden würde, denn das würde vieles für mich vereinfachen". Sie hatte wohl kein rechtes Ziel in ihrem Leben und dachte, dass ein Kind für den nötigen "Sinnschub" sorgen würde, es würde die etwas orientierungslose Kompassnadel "einnorden". Ein Auftrag, eine Mission. Über diesen unvermittelten Ausdruck großer Offenheit war ich damals leicht entsetzt, weil ich mir dachte, dass eine Familiengründung vielleicht besser erst dann in Angriff genommen werden sollte, wenn man fest im Leben steht, schließlich soll das Kind ja nicht Mittel zum Zweck sein. Ich war aber auch überrascht und gerührt gleichermaßen, denn mir war klar, dass aus ihr nicht einfach nur Zweckdenken sprach. Wie gesagt, später, als wir uns aus den Augen verloren hatten, ging ihr Wunsch in Erfüllung, noch dazu während ihres Studiums in einer anderen Stadt. Ich erfuhr davon erst aus zweiter Hand von einem Freund, der mit ihr telefoniert hatte, und ich muss gestehen, dass mich diese Nachricht etwas aus der Bahn geworfen hat. Gleichzeitig mit dieser Nachricht erfuhr ich auch, dass während einer Ultraschalluntersuchung "Unregelmäßigkeiten" festgestellt wurden, die sich aber vielleicht noch auswachsen würden. Einen Monat später meldete sie sich bei mir telefonisch und erzählte, dass ihr jetzt 5 Monate altes Ungeborenes unter einer überaus seltenen und tödlichen Fehlbildung leide und wohl in den nächsten zwei bis drei Wochen sterben würde. Was sagt man in so einer Situation? Am besten wohl nichts, einfach zuhören, obschon auch das nicht immer leicht ist. Da wir in einem freundschaftlichen Verhältnis verblieben waren, und uns von früher her eben gut kannten, konnten wir sehr offen miteinander sein. Sie war in Tränen aufgelöst und erzählte mir, dass sie mit ihrer Absicht, dass Kind nicht abzutreiben auf zum Teil massives Unverständnis in ihrem Freundes – und Bekanntenkreis gestoßen war. Die Argumentationsweise war immer gleich: Wenn das Kind ohnehin sterben wird, dann mach ein Ende damit, wozu es noch unnötig hinauszögern, wozu die Quälerei? Ihre Argumentation war denn auch immer dieselbe: Es hat ein Herz das noch schlägt, und es hat schon soviel bewirkt, bei so vielen Menschen, ich habe kein Recht dazu, dieses Leben vor seiner natürlichen Zeit zu beenden, es soll in seiner vertrauten Umgebung sterben und nicht durch einen medizinischen Eingriff. Sie erzählte mir von den Vorbereitungen die sie getroffen hatte, und den Sachen die sie gekauft hatte, als noch die Hoffnung bestand, das Kind könnte lebend auf die Welt kommen.
Es machte mich traurig zu hören, wie erleichtert sie darüber war, endlich mit jemanden sprechen zu können, der sie einfach verstehen konnte, dem gegenüber sie sich nicht rechtfertigen musste.
Schließlich sprach ich ihr Mut zu und bestärkte sie in ihrer Entscheidung, die für mich sofort natürlich und richtig war, so dass ich mich fragen musste, wie man in so einer Angelegenheit derart unterschiedlicher Auffassung sein kann. Sie berichtete auch von den Schwierigkeiten die sie hatte, für ihr Kind eine angemessene Beisetzungmöglichkeit zu finden, da es offenbar ein Gesetz gibt, das Beerdigungen von Totgeburten erst ab einem bestimmten Gewicht erlaubt. Tja, zwei Wochen später erhielt ich eine SMS von ihr die da lautete: „Heute Nacht um halb vier ist meine kleine Tochter Jula zur Welt gekommen. Sie wiegt nur 510 g und ist 27 cm klein – ein ganz zartes Geschöpf. Sie wurde heute gesegnet und ich habe das Ave Maria für sie gebetet. Obwohl ich sie gleich wieder hergeben muss bin ich glücklich dass es sie gibt“. Meine ehemalige Freundin hat meinen Übertritt in die katholische Kirche nie ganz nachvollziehen können, sie wurde (wie ich) nicht religiös erzogen, war auch nicht getauft, aber als spirituell hochbegabter Mensch hat sie das Ave Maria immer hochgeschätzt. Was soll ich sagen, ich war ungeheuer stolz auf sie und bewundere ihre Fähigkeit, intuitiv die richtigen Entscheidungen zu treffen. Diese kleine Geschichte ist sehr traurig, aber auf einer anderen Ebene hat sie auch ein gutes Ende gefunden. Ich wünsche allen schwangeren Frauen, die verwirrt, verängstigt und verzweifelt sind, und deren Probleme nicht kleingeredet werden dürfen, dass sie Menschen finden, die sich ihrer annehmen, die sie darin bestärken, die Wege des Lebens nicht zu unterbrechen, und Hilfe bieten.

5 Kommentare:

  1. Vielen Dank für den Bericht. Wie gut daß es solche Entscheidungen auch gibt. Gottes Segen für Deine Freundin.

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  2. Das ist ein sehr bewegender Bericht. Ich hoffe, die Freundin darf später auch Mutter eines gesunden Kindes werden. Aber wie immer es für sie wird - sie hat gut und klug entschieden.

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  3. Danke für Ihren Kommentar, ich denke auch, dass sie sich für das Richtige entschieden hat.

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  4. Vielen Dank, dass wir diese Geschichte erfahren durften. Wieviel Mut und wieviel Gefühlshöhen und -tiefen muss die junge Mutter erlebt haben, wieviel Liebe hat sie diesem Kind geschenkt. Meinen tiefen Respekt.
    In Gedanken und im Gebet werde ich wohl noch öfter ian sie denken. Möge Gott ihr ihre Liebe und Dir , ichwesen, die Deine vergelten...

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  5. Ich bin gleichermaßen beeindruckt und betroffen. Betroffen über die Tragödie die sich ereignet hat und beeindruckt, dass deine Ex-Freundin auf ihr Herz gehört hat und allen Anfechtungen zum Trotz, ihren Weg gegangen ist. Das erfordert ein hohes Maß an Mut, Kraft und Respekt vor dem Leben. Ich bin überzeugt, dass GOTT diese Tat segnet... Alles Liebe Dein Schwesterherz

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